Ballett mit Ohren und Händen erleben

Audiodeskription für das Ballett

Der Balletttanz ist eine Kunst ganz ohne Worte, oft auch ohne konkrete Handlung. Die Musik – so vorhanden – gibt nur wenige Hinweise auf die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer. Ballett ist also eine Kunstform, die vor allem mit den Augen genossen wird.

Muss das so sein? Die Statistik sagt uns, dass 2019 rund 72.000 Menschen in Deutschland vollkommen blind und weitere 47.000 Menschen hochgradig und über 230.000 Menschen in einem geringeren Grad sehbehindert waren. Insgesamt gelten 0,4 Prozent der Bevölkerung als „sehbehindert“. Um diese Menschen nicht von der Teilnahme an Veranstaltungen in Theatern und Opernhäusern auszuschließen, hat sich in den letzten Jahren immer mehr die Audiodeskription durchgesetzt, d.h. die Vermittlung des Inhalts durch zusätzliche Schilderungen des Bühnengeschehens, die blinden und sehbehinderten Menschen über Kopfhörer während der Vorstellung zugespielt wird.

Schauspiele und Opern haben oft konkrete Bühnenhandlungen. Über Text und Gesang wird den ZuschauerInnen (in diesem Zusammenhang ein seltsames Wort) schon ein wesentlicher Teil des Verständnisses vermittelt. Die Audiodeskription kann sich darauf beschränken, das zu vermitteln, was sich nicht schon aus dem Gehörten erschließen lässt.

Ganz anders beim Ballett. Hier erschließt sich aus dem, was gehört wird, nicht viel über das, was auf der Bühne geschieht und was die Ballettkunst ausmacht.

Mit Unterstützung von Demis Volpi, Ballettdirektor des Ballett am Rhein, hat Michael Foster, ehemaliger Tänzer und nun als Tanzpädagoge hier tätig, im Frühjahr 2022 intensiv mit den Vorbereitungen und Recherchen für das Projekt begonnen, Audiodeskription auch für den Bereich Ballett anzubieten. Juliane Schunke, Dramaturgin am Ballett am Rhein, hat bereits bei der der Hör.Oper des Musiktheater im Revier Gelsenkirchen viele Erfahrungen mit Audiodeskription gesammelt und begleitet das Projekt seit Beginn der Spielzeit 2023/2024.

In den USA und in Großbritannien ist es schon länger verpflichtend, dass im Bereich der Hochkultur eine Barrierefreiheit angeboten wird, zu der auch die Audiodeskription gehört. In Deutschland gab es bislang punktuell Tanzprojekte, vor allem in der freien Szene, die dies für sehbehinderte Menschen angeboten haben.

Michael Foster entwickelte für das Ballett am Rhein schon das Projekt „Leichter getanzt als gesagt“, in dem es ebenfalls um die Beschreibung von Tanz und Bewegungen geht. Für ihn hat die Audiodeskription nicht nur einen inklusiven und sozialen, sondern auch einen künstlerischen Aspekt. Ballett mit Worten „hörbar“ zu machen, ist auch für Sehende eine neue Erfahrung, für sehbehinderte und blinde Menschen natürlich der notwendige Zugang zur Welt des Tanzes.

Die Realisierung des Projekts erforderte nicht unerhebliche finanzielle Mittel. Die Ballettfreunde erklärten sich bereit, einen Teil der Kosten zu übernehmen und Aktion Mensch e.V. hat erfreulicherweise einen ganz erheblichen Teil der Kosten beigesteuert. Und so realisiert sich das Projekt durch eine Kooperation von Oper am Rhein mit den Ballettfreunden und wird gefördert von Aktion Mensch e.V., der auf diesem Weg ganz besonders gedankt wird.

Seit November 2023 gibt es nun für blinde und sehbehinderte Menschen die Möglichkeit, einen Ballettabend in der Oper in Düsseldorf oder im Theater in Duisburg live zu erleben. Die Audiodeskription wird ein „bildreiches Tanzerlebnis“ bieten. „Kompetent und mit viel Gefühl“ beschreiben SprecherInnen das Geschehen auf der Bühne, so der Pressetext der Oper.

Um die Vorstellung nicht nur hörbar, sondern auch begreifbar zu machen, gibt es 90 Minuten vor Beginn der Vorstellung die Möglichkeit, die Bühne zu betreten, Kulissen und Requisiten zu ertasten und auch die Kostüme und Perücken der TänzerInnen anzufassen und so haptisch zu erkunden.

Dazu gibt es eine spezielle Einführung in die Stücke. Es werden auch ausführliche Texte zu den Personen der Werke, zu den Kostümen und den Kulissen auf der Homepage der Oper am Rhein veröffentlicht, mit denen schon vorab wichtige Informationen für blinde und sehbehinderte Menschen zur Verfügung stehen.

Während der Vorführung wird die Audiodeskription live von einer Deskriptorin eingelesen, die aus ihrer Sprecherkabine das Geschehen auf der Bühne verfolgen kann. Der Ton wird an die blinden oder sehbehinderten Menschen über eine Handy-App auf die (eigenen oder zur Verfügung gestellten) Kopfhörer in den Opernsaal übertragen.

Damit der Eintrittspreis keine Barriere ist, gibt es Vergünstigungen.
Für die Audiodeskription, das Audio-Gerät und das Vorprogramm entstehen über den Ticketpreis hinaus keine Extrakosten. InhaberInnen eines Schwerbehinderten-Ausweises (GdB ab 70%) erhalten 50% Ermäßigung auf den Kartenpreis. Dieses Angebot gilt auch für die Begleitung von Schwerbehinderten, deren Ausweis mit einem „B“ gekennzeichnet ist.

Eine rechtzeitige Voranmeldung beim Ticketkauf ist unbedingt notwendig, damit sowohl beim Empfang im Theater/Opernhaus, bei der Tastführung auf der Bühne als auch für die Vorstellung selbst geplant werden kann.

Text: Axel Weiss; Fotos: Daniel Senzek/Oper am Rhein