Demis Volpi im Gespräch

Fragen an den künftigen Chef­choreo­graphen und Ballett­direktor

Der Aufsichtsrat der Deutschen Oper am Rhein hat Demis Volpi am 15. März 2019 in einer außerordentlichen Sitzung einstimmig zum Nachfolger von Martin Schläpfer berufen. Demis Volpi wird ab der Spielzeit 2020/2021 Ballettdirektor und Chefchoreograph des Balletts am Rhein.

Demis Volpi ist ein deutsch-argentinischer Choreograph und Opernregisseur. Er wurde in Buenos Aires geboren und begann bereits im Alter von vier Jahren zu tanzen. Unterricht erhielt er u.a. von Andrea Candela, Wilhelm Burmann, Mario Galizzi, Silvia Bazalis und Loipa Araujo. Nach einjährigem Studium am Instituto Superior de Arte des Teatro Colón absolvierte er Canada’s National Ballet School in Toronto mit Diplom und mit Auszeichnung. Von 2002 bis 2004 besuchte er die Stuttgarter John Cranko Schule, die er mit einem Diplom als staatlich geprüfter Klassischer Tänzer abschloss.Er wirkte anschließend als Eleve im Stuttgarter Ballett und bekam 2005 eine Anstellung im Corps de Ballett. Seine aktive Laufbahn als Tänzer beendete er 2013. Während seiner aktiven Zeit tanzte er sowohl das klassische wie auch das moderne Repertoire der Kompanie.

Seine ersten Choreographien schuf Demis Volpi 2006. Er wurde später Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts und schuf dort u.a. das abendfüllende Erfolgsstück „Krabat“.

Weitere Choreographien schrieb er für das Ballet Nacional del Sodre in Uruguay, die Dance Works Chicago, das Ballett im Revier in Gelsenkirchen, das Lettische Nationalballett, das Ballett Dortmund und Canada’s National Ballet School. Dort wurde er 2014 zum Guest Artist in Residence ernannt.

2014 begann Demis Volpi auch mit der Inszenierung von Opern. Mit dem Stück „Rey y Rey“ schuf er 2018 mit der Compania Nacional de Danza de México ein Ballett für Kinder, das nach dem Buch von Nijland/De Haan die gleichgeschlechtliche Liebe thematisiert.

Für seine Kreationen ist der 33jährige mehrfach auf internationalem Parkett ausgezeichnet worden. So war er 2018 für die International Opera Awards (Kategorie „Beste Produktion“ für „Death in Venice“, Staatsoper Stuttgart) und den Prix Benois de la Danse am Bolshoi Theater in Moskau (Beste Choreographie für „Salome“, Stuttgarter Ballett) nominiert. Er ist Träger des Deutschen Tanzpreises (2014, Kategorie „Zukunft“), wurde 2017 in der Kritikerumfrage der Zeitschrift Opernwelt zum Nachwuchskünstler des Jahres gewählt und erhielt den Chilenischen Kunstkritiker-Preis.

„Demis Volpi ist einer der spannendsten, kreativsten und vielversprechendsten Choreographen und Regisseure der jungen Generation“, so der Generalintendant der Deutschen Oper am Rhein, Prof. Christoph Meyer. „Er verfügt über wertvolle, langjährige Erfahrung in der Arbeit mit großen Ballettcompagnien, über profundes administratives Know-How sowie enormes künstlerisches Potenzial. Er hat uns insbesondere durch seine moderne, genreübergreifende Herangehensweise überzeugt, die den Tanz als interdisziplinäres Medium definiert.“

Mit seinen „innovativen Ideen und seiner beeindruckenden künstlerischen Vita“, so Christoph Meyer weiter, habe sich Demis Volpi inmitten eines hochqualifizierten internationalen Bewerberfeldes durchgesetzt. „Nach zehn wunderbaren Jahren der Zusammenarbeit mit Martin Schläpfer, der hier in Düsseldorf und Duisburg Außerordentliches geleistet und das Ballett am Rhein zu einer der wichtigsten Adressen für den europäischen Tanz gemacht hat, war uns klar: Einen ,Nachfolger“, der nahtlos an Martin Schläpfers Arbeit und Ästhetik anknüpft, kann es nicht geben – und soll es auch nicht geben. Bei einem solchen Wechsel braucht es Mut zur Veränderung. Daher freuen wir uns nun sehr auf einen jungen, äußerst begabten Kollegen, der seiner großen Herausforderung mit Respekt, aber gleichzeitig auch mit Innovationskraft und dem nötigen Selbstbewusstsein begegnen wird.“



Demis Volpi schilderte zunächst seinen künstlerischen Lebenslauf bis zur Beendigung seiner Tätigkeit als Hauschoreograph beim Stuttgarter Ballett im Jahr 2017.

„Ich bin seitdem Freiberufler und war sehr froh, dass mich die beiden Herren (Prof. Christoph Meyer und Hans-George Lohe) damals angerufen haben. Im Ablauf des Kennenlernens habe ich sehr schnell gemerkt, dass ich mich in vielen Punkten identifizieren kann mit dem, für das das Ballett am Rhein mit seiner neo-klassischen Linie und mit der Ästhetik steht und auch der Art, wie die Compagnie aufgebaut ist. Ich glaube, dass das eine sehr stimmige Entscheidung für mich und auch für die Compagnie ist.“

Sie kennen das Werk von Martin Schläpfer. Was kann man anders machen, was kann man verbessern, was kann man weitermachen?

„Ich glaube, die Spielpläne sind extrem klug aufgebaut. Vieles, was die Ästhetik angeht, was die choreographische Sprache angeht, wird in die gleiche Richtung gehen bei vielen von den Abenden. Es wird aber schon so sein, dass ich gerne gerade bei den Handlungsballetten ein Zeichen setzen will und auch mit dem Tanz Geschichten erzählen will. Das interessiert mich auch künstlerisch und ich glaube, dass es auch für das Repertoire der Compagnie wichtig ist, sich in dieser Richtung zu entwickeln.“

Sie wollen also einen Schwerpunkt setzen auf das Handlungsballett?

„Unter anderem auch. Ich glaube, man muss aufpassen, was man unter Handlungsballett versteht. Wenn man Handlungsballett hört, denkt man sofort an klassische Werke, die eine bestimmte Form und Farbe haben. Aber Handlungsballett kann auch anders sein. Handlungsballett kann auch zeitgenössisch sein, kann auch modern sein, kann auch wegweisend sein. Das will ich entwickeln.“

Sind Sie davon geprägt, wie das in Stuttgart gelaufen ist?

„Davon bin ich natürlich geprägt. Wir haben in Stuttgart eine große Tradition mit John Cranko, der wirklich Meisterwerke geschaffen hat, gerade was das Handlungsballett angeht. Das ist ein Repertoire, das ich gut kenne und auf das ich auch aufgebaut habe. Daraus versuche ich, eine eigene Sprache zu entwickeln für meine Ballette.“

Sie haben in den letzten Jahren viele Opern inszeniert. Hatten Sie schon vor, wieder in Richtung Tanz zu gehen?

„Man hat als Künstler ständig Entwicklungen. Man muss viele Dinge ausprobieren, verschiedene Sprachen. Es war für mich wichtig diese Arbeit zu machen, aber meine Muttersprache bleibt der Tanz. Das ist mein Zuhause und die Sprache, die ich am besten beherrsche. Und nur weil ich eine neue Sprache erlerne, heißt nicht, dass ich die andere nicht mehr reden kann.“

Frage zur Compagnie. Werden Sie neue Leute mitbringen oder wie sieht das aus?

„Ich habe die Compagnie vor 20 Minuten zum ersten Mal angesprochen und kennengelernt. Ich muss die Compagnie erst einmal im Detail kennenlernen. Ich habe natürlich Vorstellungen gesehen. Ich weiß, wie die Compagnie aussieht, aber ich muss jeden Einzelnen jetzt kennenlernen und in einen Dialog treten, bevor ich Entscheidungen treffen kann.“

Sie haben noch ein gutes Jahr bis zum Beginn der Tätigkeit in Düsseldorf. Was machen Sie in der Zwischenzeit?

„Ich habe andere Projekte, die noch nicht angekündigt sind und über die ich deshalb nicht sprechen darf, weil es andere Häuser betrifft. Es ist zum Glück alles zeitlich so gewesen, dass ich mir die Freiräume geschaffen habe, damit ich auf diese Aufgabe, auf die ich mich sehr freue, meinen Fokus legen kann.“

Bleiben Sie ab 2020/2021 fest in Düsseldorf oder sind Sie häufig unterwegs?

„Ab 2020 bin ich fest hier am Haus. Und natürlich muss ich mich erst einmal sehr im Detail mit der Compagnie auseinandersetzen. Ich werde hier sein und habe auch vor, ein sehr präsenter Ballettdirektor zu sein. Vielleicht, wenn sich Dinge etablieren nach ein paar Jahren, kann man wieder darüber nachdenken, die Arbeit auch woanders zu zeigen; auch im Interesse der eigenen Compagnie.“

Sie wissen um die Schwierigkeit des Doppelhauses Düsseldorf/Duisburg. Trauen Sie sich das zu?

„Ich komme aus Stuttgart und dort haben wir drei Häuser, die wir bespielen.“

Wir haben in Düsseldorf eine sehr ausgeprägte zeitgenössische freie Tanzszene, wo es in der Zusammenarbeit durchaus Optimierungsbedarf gibt. Wollen Sie eine Kooperation oder machen Sie „Ihr Ding“ neben dieser Szene?

„Was in Nordrhein-Westfalen passiert, ist wirklich einzigartig: Dass es so viele verschiedene Welten in der Kunst und im Theater und auch im Tanz gibt. Ich hoffe, dass ich in Verbindung treten kann mit anderen Institutionen. Wie dieser Dialog dann aussieht und wo die Berührungspunkte sind, weiß ich noch nicht, aber ich würde mich freuen, wenn man auch aus dem Haus heraus Dinge erweitern kann.“

Können Sie sich vorstellen, hier in Düsseldorf eine Oper zu inszenieren?

„Die Frage müssen Sie an Herrn Meyer stellen, ob er sich vorstellen kann, mich mit so einer Aufgabe zu beauftragen.“

Prof. Meyer: „Beantworten wir das ganz einfach: Nach dem, was ich von ihm gesehen habe, kann ich mir das sehr gut vorstellen. Ich fände das auch eine unglaubliche Bereicherung der Zusammenarbeit zwischen Ballett und Oper.“

Es gibt ja stilistische Unterschiede etwa zwischen Neumeier und Cranko auf der einen und zum Beispiel Spoerli, van Manen und Schläpfer auf der anderen Seite, die bis zur persönlichen Aversion geht. Zu welcher Truppe tendieren Sie?

„Das sind Künstler und keine Fußballmannschaften. Ich kann nur hoffen, dass ich als Künstler meine eigenen Vorstellungen entwickeln kann. Mein Ziel ist es als Choreograph wie auch als Regisseur immer bei jedem Stück vor einem weißen Blatt zu stehen und zu sagen: Ich weiß erst mal nichts. Wir wissen nichts über dieses Stück, es gibt nichts im Raum und man fängt von vorne an und man entwickelt hoffentlich eine Sprache, die für dieses Stück stimmig ist und im besten Fall, die auch für dieses Stück vielleicht einzigartig ist.“

Wollen Sie an dem Format der bisherigen Ballettabende festhalten drei Stücke zu zeigen?

„Wie ich schon gesagt habe: Ich will das Repertoire auch um abendfüllende und Handlungsballette erweitern, aber das andere nicht ausschließen. Ich glaube, dass es auch in diesem wunderbaren Format des mehrteiligen Ballettabends immer noch Möglichkeiten gibt, Dinge anders zu machen und das, was funktioniert, auch weiterhin zu pflegen. Es wird darum gehen, die richtige Balance zu finden zwischen diesen verschiedenen Wegen einen Abend zu gestalten.“

Haben Sie sich schon im Traum vorgestellt, was 2020 Ihre erste Choreographie sein wird?

„Ich wusste, dass diese Frage kommt. Aber ich will es umdrehen: Ich würde mich freuen, wenn Sie, bis ich meine erste Spielzeit vorstellen kann, sich selber Gedanken machen oder sich wundern, was dann kommt. Das soll ja auch eine Überraschung sein. Wie bei einem Stück bis der Vorhang aufgeht oder bis die Pralinenbox aufgemacht wird. Man weiß ja nicht, was drin ist. Dieses Geheimnis müssen Sie uns doch auch schenken.“

Wie sind Sie dazu gekommen, auch Opern zu inszenieren?

„Stuttgart ist ja ein sehr besonderes Haus, weil dort alle Sparten (Oper, Ballett, Theater, Konzert) sehr stark repräsentiert sind. Als ich in der Cranko-Schule ankam, habe ich erfahren, dass wir Freikarten bekommen für Vorstellungen. Ich habe mir dann einfach alle Vorstellungen angeschaut von allem, was es gab. Ich konnte es nicht verstehen, dass meine Mitschüler nicht auch jeden Abend da standen. Manchmal stand ich die ganze Vorstellung im dritten Rang, aber das war mir egal. Ich habe in dieser Zeit sehr viel gelernt und meine Liebe für den Tanz und für das Theater hat sich dadurch noch mehr entwickelt.“

Wird es auch Arbeiten für Kinder und Jugendliche geben?

„Ich habe in den letzten Jahren öfters Stücke für ein junges Publikum gemacht, unter anderem ‚Krabat‘. Wir haben damals sogar zum ersten Mal in der Geschichte der Compagnie eine Vorstellung ausschließlich für Schüler gemacht. Ich war noch nie so nervös vor einer Vorstellung, weil die sind ja wirklich das allerehrlichste Publikum und verzeihen nichts, aber so still wie an dem Abend habe ich das Theater noch nie erlebt. Und so aufmerksam, wie die geguckt haben. Das war ein Riesengeschenk für die Compagnie und für mich auch, das zu erleben. Es wird sicherlich Räume geben, die ich mir schaffen will, um so etwas hier auch zu initiieren.“

Prof. Meyer: „Das kann ich nur unterstützen, weil wir in der Oper ziemlich viel für kleine und größere Kinder machen. Wenn wir da etwas zusammen machen könnten, wäre das fantastisch.“

Herr Volpi wird Ballettdirektor und Chefchoreograph. Verstehe ich das richtig, dass Remus Şucheană ab der nächsten Spielzeit nicht mehr Ballettdirektor ist?

Prof. Meyer: „Demis Volpi weiß seit einer Stunde, dass er die Stelle als Ballettdirektor und Chefchoreograph antreten kann. Wir haben aber gestern schon gemeinsam mit Remus zusammengesessen und sind da in einem Prozess. Die lernen sich jetzt kennen. Also das ist noch nicht klar. Das ist ja auch normal.“

Heißt das, dass noch offen ist, ob Remus Şucheană bleibt oder nicht?

Prof. Meyer: „Gestern Abend haben wir zwei Stunden gesessen. Nächste oder übernächste Woche wieder und so weiter.“

Gibt es irgendwelche Choreographenvorbilder für Sie? Welche Choreographen hängen bei Ihnen im Arbeitszimmer an der Wand?

„Bei mir hängen Fotos von John Cranko und von Sir Peter Wright an der Wand.“

Fotos und Zusammenstellung: Axel Weiss
Text: Deutsche Oper am Rhein, Axel Weiss