Der Vorstellung zweiter und zur Zeit wohl auch letzter Teil

Das Zweite Erste Date

„Es ist sehr schade, dass wir aufgrund der derzeitigen Situation mit Ihnen noch keine persönlichen Gespräche führen konnten. Ich kann Ihnen für die gesamte Compagnie sagen, dass wir uns darauf freuen. Wenn wir auftreten, ist es gut zu wissen, dass Sie im Zuschauerraum sitzen. Wir fühlen die Anerkennung und die Liebe, die Sie für uns empfinden. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Seien Sie sicher, dass wir Ihre Unterstützung anerkennen und Ihre Liebe erwidern.“

Mit diesen emotionalen Worten wandte sich die kanadische Tänzerin Neshama Nashman am Ende der Veranstaltung an die Ballettfreunde. Und sicher, wären da nicht die strengen Corona-Vorschriften, etliche Ballettfreunde und -freundinnen hätten Neshama gerne gerührt in die Arme genommen. So blieb nur der herzliche Dankesapplaus.

Das „Zweite Erste Date“ war der Vorstellung neuer Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie gewidmet. Demis Volpi ließ es sich nicht nehmen, durch den Abend zu führen als charmanter Moderator, Interviewer, Übersetzer und auch als Ruhepol, wenn die teils noch etwas nervösen Compagniemitglieder unsicher wurden.

Etwa eintausend Bewerbungen hat es Anfang diesen Jahres gegeben, so erzählte Demis Volpi, als er Stellen für seine neue Compagnie in Düsseldorf ausgeschrieben hatte. 100 Tänzerinnen und 50 Tänzer kamen in die engere Auswahl und wurden an einem Wochenende im Februar zum Vortanzen nach Düsseldorf eingeladen.

„Es war eine schwierige Entscheidung, dieses öffentliche Vortanzen zu machen. Ich bin kein großer Freund dieser Art von Veranstaltungen, weil man unglaublich schnell über Menschen entscheidet und man nicht so genau weiß, wie man diese Entscheidung trifft. Da stecken wahnsinnig viele Ressourcen und Hoffnungen bei einem solchen Vortanzen für die Tänzer. Aber es war auch ein wichtiges Signal in die Tanzwelt, dass hier eine neue Compagnie geformt wird und es Möglichkeiten für neue Tänzer gibt.“

Ebenso wichtig für die Formation der neuen Compagnie waren persönliche Kontakte, die Demis Volpi bei seinen früheren Arbeiten an diversen internationalen Ballettschulen und Balletthäusern geknüpft hat. Das wurde an diesem Abend sehr deutlich. Alle sechs TänzerInnen kamen letztlich darüber in die Compagnie. Welcher Art diese Kontakte waren und wie sie sich bis zum Engagement in Düsseldorf entwickelt haben, war dann der Ausgangspunkt für die Gespräche, die Demis Volpi mit den TänzerInnen führte. Es waren kleine Geschichten über zufällige Begegnungen, Beobachtungen im Ballettsaal, Telefonate, schnelle Entscheidungen. Es entstand für uns Zuhörer das Bild eines Ballettkosmos, in dem eine magische Anziehungskraft sehr diverse Künstlerpersönlichkeiten zueinander führt, die dann zu einer Compagnie verschmelzen.

Da war zuerst Clara Nougué-Cazenave. Sie wurde als erste neue Tänzerin von Demis Volpi für das Ballett am Rhein engagiert. Clara war nach ihrer Ausbildung in Boulogne-Billancourt und in Lyon als Tanz-Freelancerin tätig. 2019 choreographierte Demis Volpi in Lyon für die Oper „Guillaume Tell“ ein Ballett und castete zusammen mit Damiano Pettenella etliche freie TänzerInnen für die Produktion, darunter eben auch Clara. Ihr Potential fiel Demis Volpi gleich auf, aber er meinte zu Damiano Pettenella, es fehle ihr noch das gewisse Etwas. Zwei Wochen später, als Demis Volpi nach einer Unterbrechung seiner Arbeit in Lyon, wieder in den Ballettsaal kam, erkannte er sie kaum wieder. Sie habe sich in diesen zwei Wochen durch die Arbeit mit Damiano Pettenella tänzerisch unglaublich entwickelt.

„Eine Tänzerin, die so schnell lernen kann, die so viel Lust hat, sich darauf einzulassen, das ist genau die richtige Einstellung“, begründet Demis Volpi seine spontane Entscheidung für Clara.

Darauf angesprochen, ob sie sich vorstellen könne, in die Compagnie nach Düsseldorf zu kommen, erzählte Clara Demis Volpi von ihrer Schwester Rose, die gerade am Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse in Lyon ihren Abschluss mache. Sie fragte, ob die Schwester mittrainieren dürfe. Und so erschien dann eine halbe Stunde später Rose Nougué-Cazenave im Ballettsaal in Lyon, trainierte mit Demis und Damiano und entpuppte sich ebenfalls als großes Talent.

Beim anschließenden Kaffee fragte Demis Volpi dann beide Schwestern, ob sie sich vorstellen könnten, gemeinsam in seine Compagnie nach Düsseldorf zu kommen.

„Die haben uns nur stumm angeschaut und nichts gesagt. Damiano hat dann gefragt, ob sie meine Frage verstanden hätten. Da haben beide genickt.“
Und so bekamen die beiden ersten neuen Tänzerinnen ihre Kontrakte in einem Café in Lyon.

Clara: „Das war eine unglaubliche Überraschung. Ich hätte mir nie vorstellen können, hier in Düsseldorf zu tanzen. Ich kann es immer noch nicht verstehen. Ich bin so glücklich darüber. Ich habe in Bordeaux und Lyon als Extra gearbeitet. D.h. wenn die dortigen Compagnien nicht genügend eigene TänzerInnen für eine Produktion hatten, wurden Extras gecastet und engagiert. Das Arbeiten in einem festen Ensemble ist ganz anders. Du arbeitest jeden Tag mit den gleichen Menschen. Man hat das Gefühl, Teil eines Ganzen zu sein, wie in einer Familie.“

Rose: „Es war der letzte Samstag im September 2019. Clara rief mich an und fragte, ob ich Lust hätte, in der folgenden Woche an einem Training ihrer Gruppe mitzumachen. Ich habe gesagt: Gerne, wenn das in meinen Terminplan passt. Ein paar Minuten später rief Clara wieder an und fragte: Kannst du schon in einer halben Stunde hier im Studio sein? Da habe ich meine Ballettschuhe gepackt und war 30 Minuten später beim Training. Und jetzt bin ich hier. Die erste Woche in der Compagnie war noch sehr stressig und ungewohnt für mich. Aber jetzt habe ich alle Kolleginnen und Kollegen kennengelernt und fühle mich wohl.“

Über Courtney Skalnik erfährt man nichts auf der Homepage der Deutschen Oper am Rhein. Ihr „Profil“ ist noch ohne Text. Die Ballettfreunde wollten natürlich mehr über sie erfahren. Demis Volpi erzählte, wie er auf Courtney aufmerksam geworden ist:

„Als ich wusste, dass ich hier Ballettdirektor werde, bin ich nach Toronto zur National Ballet School geflogen, um nach Talenten zu suchen. Ich habe dort zwei Tage lang Trainings gemacht, ich habe etwas Repertoire unterrichtet und hinten im Raum, immer leicht versteckt, war Courtney. Sie hat sich am ersten Tag nicht so ganz getraut. Ich habe gemerkt, wenn sie denkt, dass sie unbeobachtet ist, tanzt sie ganz toll und sie wird nervös, wenn sie sich zeigen muss. Ich habe sie darauf angesprochen und ihr gesagt, sie solle sich am nächsten Tag einfach mehr trauen und mehr Mut zeigen. Und es war wirklich am nächsten Tag sehr viel besser. Diese schnelle Leistungssteigerung hat mich beeindruckt.“

Courtney stammt ursprünglich aus Tulsa, Oklahoma, wo sie auch eine Ballettschule besucht hat. Ihre Schwester tanzt ebenfalls und studierte bereits an der National Ballet School in Toronto. 2014 erarbeitete Demis Volpi mit Studierenden der NBS eine Choreographie, in der auch Courtney Schwester tanzte. Courtney sah die Aufführung in Toronto und war begeistert von der ihr bis dahin unbekannten Tanzsprache. Sie war erst 15 Jahre alt, aber entschloss sich, nach Toronto zu ziehen und ebenfalls die Ausbildung zur professionellen Tänzerin zu absolvieren.

Courtney ist nun das erste Mal in einer Compagnie engagiert, das erste Mal arbeitet sie in Europa. Machte es ihr Angst, Nordamerika zu verlassen?

„Als ich das Angebot bekam, habe ich mich sehr schnell entschieden. Es war mein Traum, in einer Compagnie wie dem Ballett am Rhein zu tanzen. Natürlich war das zunächst einschüchternd, aber ich hatte keine Angst. Dass ich hier so viel trainieren und auftreten kann, macht mich glücklich.“

Ebenfalls aus Toronto von der NBS kennt Demis Volpi den kanadischen Tänzer James Nix. Der tanzte nämlich in der Urbesetzung von „Chalkboard Memories“, dem Stück, das Courtney in Toronto so begeisterte. Ein Ausschnitt daraus war auch Teil des dreiteiligen Programms „A first date“, mit dem sich Demis Volpi in Düsseldorf vorgestellt hat. Hier tanzte den Part allerdings Niklas Jendrics, von dem später noch die Rede sein wird.

Nach der sehr klassisch orientierten Ausbildung in Toronto entschloss sich James, nach Deutschland zu gehen und sich mehr mit dem zeitgenössischen Tanz zu beschäftigen. Von 2014 bis 2018 tanzte er beim Hessischen Staatsballett in Wiesbaden und wechselte dann an das Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München.

„Die Arbeit in Wiesbaden und München hat mir gezeigt, welche vielfältigen Perspektiven es im Tanz gibt. Wenn man sich von den Schranken des klassischen Balletts befreit, entdeckt man sehr viel mehr über sich selbst. Und man muss sich dann damit auseinandersetzen, wie man die Erfahrungen aus dem zeitgenössischen Tanz wieder in die Klassik einbringt. Das beeinflusst den Blickwinkel auf deine Körperarbeit und die Arbeit mit anderen. Jetzt wieder in einer mehr klassisch orientierten Compagnie zu sein, machte mir anfangs Schwierigkeiten. Da war so eine Unsicherheit, ob mein Können noch ausreicht, weil ich so lange zeitgenössisch getanzt habe. Aber jetzt bin ich zufrieden. Mein Zugang zum klassischen Tanz hat sich verändert. Ich genieße das heute viel mehr als früher an der Schule. Ich kann da viel entspannter herangehen und es macht mir Freude.“

Auch die Entwicklung der Beziehung von Demis Volpi zur Kanadierin Neshama Nashman ist nicht frei von Kuriositäten und Zufälligkeiten.

Neshama studierte am Evelyn Hart Conservatory in Toronto, gewann 2018 den ersten Preis beim Youth America Grand Prix in der Kategorie „Senior Contemporary“ und hatte 2019 bereits ein Engagement als Halbsolistin am Ballett der Oper in Krakau.

Demis Volpi: “Mit Neshama hatte ich bereits Kontakt, bevor ich wusste, dass ich Ballettdirektor in Düsseldorf werde. Eine Lichtdesignerin, mit der ich viel zusammengearbeitet habe, rief mich an und fragte, ob ich bereit sei, mit einer jungen kanadischen Tänzerin über die europäische Tanzszene zu reden. Sie arbeite gerade in Polen und wolle mehr erfahren. Wir haben dann mehrfach miteinander gesprochen.“

Neshama: „Ich war noch in einer Orientierungsphase. Ich wollte wissen, in welche Richtung ich mich wenden, wofür ich mich öffnen sollte, was gut für meine Karriere wäre. Ich arbeitete schon in Polen und hatte dort eine Stelle. Ich war eigentlich ganz zufrieden in Krakau. Aber ich hatte das Gefühl, mich noch mehr umschauen zu müssen. Ich hörte, dass Demis in Düsseldorf ein Vortanzen veranstaltete und fuhr zur Audition nach Deutschland. Danach bin ich nach Polen zurückgekehrt ohne Informationen, ob man an mir interessiert war oder nicht. Etwas später schickte mir Demis eine SMS und bat um meinen Anruf. Wir haben telefoniert und er fragte mich, ob ich nach Düsseldorf in seine Compagnie kommen wollte. Ich war zwar offen für Veränderungen, aber treffe nicht gerne schnelle Entscheidungen über mein Leben, sondern wäge die Möglichkeiten sehr genau ab. Deshalb bat ich Demis um Bedenkzeit. Er sagte: In Ordnung. Lass uns in einer Woche noch mal telefonieren.“

Demis Volpi: „Es war so, dass wir anderen Tänzerinnen schon einen Vertrag angeboten hatten, aber Neshama war jemand, über den wir immer wieder im Team geredet haben. Sie blieb uns in Erinnerung, obwohl wir sie nicht gleich engagiert hatten. Ich habe gedacht, dass es schon einen Grund gibt, warum wir immer wieder über sie redeten. Ihre Persönlichkeit hatte uns beeindruckt. Ich habe ihr bei unserem Telefonat eine Woche Bedenkzeit gegeben, aber schon am nächsten Tag rief sie zurück und sagte zu, nach Düsseldorf zu kommen.“

Die Palucca-Hochschule für Tanz in Dresden ist eine der renommierten Ausbildungsstätten in Deutschland. Demis Volpi erzählte, dass er zusammen mit dem Ballettmeister Uwe Schröter dort mehrere Tage verbracht hat, um nach jungen Talenten Ausschau zu halten. Und so kam es zum Kontakt mit Niklas Jendrics.

Niklas kommt aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Dresden. Er sei immer schon an Sport interessiert gewesen und hätte aktiv Geräteturnen ausgeübt. Ein Talentscout der Palucca Hochschule habe ihn angesprochen, ob er dort nicht eine Ausbildung zum Tänzer absolvieren wolle. Niklas besuchte dann einen Tag der Offenen Tür an der Palucca.

„Ich hatte vorher noch nie etwas von Tanzen gehört. Ich fand das total inspirierend. In der fünften Klasse habe ich dort angefangen, habe in der Zehn meinen Realschulabschluss gemacht und noch drei Jahre bis zum Bachelor studiert.“

Die übliche Abschlussvorstellung der Hochschulabsolventen konnte aufgrund der Corona-Situation nicht öffentlich stattfinden. Die Vorführungen wurden deshalb gefilmt und ins Netz gestellt.

Niklas hatte die Möglichkeit, seine Abschlussarbeit teilweise mit Demis Volpi per Skype einzustudieren. Es handelt sich um die Choreographie „Chalkboard Memories“, die er damals in Dresden und später auch in Düsseldorf und Duisburg in „A first date“ mit seinem Klassenkollegen Edvin Somai getanzt hat. Eben diese „Chalkboard Memories“ haben auch Courtney Skalnik in der Aufführung in Toronto mit James Nix inspiriert. So schließen sich Kreise im Volpi-Kosmos.

Niklas: „Edvin und ich haben die Choreographie geprobt und als wir mit unserer Arbeit zufrieden waren, Demis per Skype vorgeführt. Der sagte dann: Da fehlt ja noch die Hälfte. Und dann mussten wir innerhalb von drei Tagen noch schnell die zweite Hälfte lernen. Für die Aufführung in „A first date“ hat sich unser Tanz aber komplett verändert. Uwe (Schröter) hat als Ballettmeister einen ganz anderen Focus gesetzt. Da Edvin und ich die tänzerischen Abläufe schon aus den Proben in Dresden kannten, hat er mehr auf unseren Ausdruck geachtet. Und auf der Bühne zu stehen, gibt dir ein ganz anderes Gefühl als in einem Ballettsaal vor einer Kamera zu tanzen. Das Stück ist schon von seiner Dauer her sehr anstrengend. Und dann über die gesamte Zeit die Ausstrahlung zu halten, ist eine Herausforderung.“

Wie waren seine ersten Erfahrungen als junger Tänzer in einer großen Compagnie? War das angstbesetzt, fragte Demis Volpi.

Niklas: „Ich hatte natürlich zunächst schon etwas Angst, in eine Compagnie mit so vielen erfahrenen Tänzern und Tänzerinnen zu kommen. Es hat mich sehr beruhigt, dass wir auf einem Level gleichgestellt sind: Wir haben alle einen Solistenvertrag und es gibt keine Hierarchien zwischen den Tänzern. In den Praktika habe ich immer zu den älteren Tänzern hochgeschaut und auf einmal bin ich auf dem gleichen Level und kann genau dort arbeiten, wo diese tollen Tänzer auch arbeiten. Das war erst schockierend, aber jetzt fühle ich mich total wohl.“

Die Ballettfreunde hatten so ausreichend Gelegenheit, die ersten sechs neuen Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie kennenzulernen. Zwar nicht „hautnah“, aber so nah, wie es die Hygienevorschriften zulassen. Das für den 27.11.2020 vorgesehene „Dritte Erste Date“ ist den nun verschärften Corona-Vorschriften zum Opfer gefallen und musste ebenso abgesagt werden wie alle Ballettaufführungen in Düsseldorf und Duisburg im November.

Persönliche Gespräche mit den Mitgliedern der Compagnie lassen also weiter auf sich warten. „Erste Dates“ sind in Corona-Zeiten ziemlich unromantisch. Trotz der netten Worte von Neshama.

Text: Axel Weiss
Fotos: Renate Zangrandi-Weber (5), Erich Kutzera (5)