Das Verhältnis von Mensch und Maschine neu gedacht und getanzt

Arbeitsprobe zu „Coppélia X Machina“

Das neue Jahr begann für die Ballettfreunde gleich mit der Möglichkeit, an einer außergewöhnlichen Arbeitsprobe teilzunehmen. Am 4. Januar konnten wir der franko-kanadischen Chereographin Hélène Blackburn bei der Arbeit zu ihrem Werk „Coppélia X Machina“ zuschauen.

Hélène Blackburn hat schon im Rahmen des Abends „Vier neue Temperamente“ für das Ballett am Rhein gearbeitet. Ihre Choreographie „Coleric“ ist noch in bester Erinnerung.

Nun hat sich die Choreographin dem Stoff der „Coppélia“ zugewandt, der auf der Erzählung „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann beruht, der den Herrn Dr. Coppélius davon träumen lässt, eine mechanische Puppe zum Leben zu erwecken.

Seit mehr als 150 Jahren haben sich Künstler von diesem Stoff inspirieren lassen und ihn weiter entwickelt. Die erste choreographische Fassung „Coppélia oder Das Mädchen mit den Glasaugen“ von Arthur Saint-Léon und der Musik von Léo Delibes wurde 1870 an der Pariser Oper uraufgeführt. Bis heute gehört die „Coppélia“ zum Standardrepertoire des klassischen Balletts.

Der Zusatz „X Machina“ verrät, dass Hélène Blackburn mit ihrer Auftragsarbeit für das Ballett am Rhein das Spannungsfeld zwischen Mensch und Maschine und insbesondee die Entwicklung künstlicher Intelligenz thematisiert. Die ursprüngliche Geschichte von E.T.A. Hoffmann wird also neu betrachtet und in einen aktuellen Kontext gestellt.

In einem Gespräch mit Carmen Kovacs, das im Programmheft abgedruckt ist, erläutert Hélène Blackburn die Fragen, die sich ihr bei der Arbeit an der Choreographie stellten:

„Wo stehen wir zurzeit als Menschen? Was macht einen Menschen aus? Ich glaube, dass wir uns in einer Phase der Mutation befinden, und das finde ich angsteinflößend und wunderschön zugleich.“

Im Rahmen der Arbeitsprobe ließ die Choreographin von der Compagnie die Eröffnungsszene zum 2. Akt ohne Unterbrechung durchtanzen. Dieser Akt spielt in der Werkstatt des Dr. Coppélius, also dem Ort der Maschinen und Roboter.

Die Szene vermittelt eindringlich die konsequente Sprache der Choreographin: Wir werden mit Wesen konfrontiert, die halb wie Maschinen, halb wie Menschen aussehen, die sich auf maschinellen Gehhilfen bewegen, deren Arme künstlich verlängert sind, so dass sie sich wie Vierfüßler bewegen können, deren Hände scherenartig zulaufen. Eine Reminiszenz an den Film „Edward mit den Scherenhänden“ von 1990 mit Johnny Depp.

Im Anschluss an die tänzerische Probe bat Ballettdirektor Demis Volpi die Choreographin zu einem Gespräch über ihre Arbeit.

Er eröffnete mit der Frage an Hélène Blackburn, ob wir eine Seele haben.

Dieser Frage wich die Choreographin aus indem sie feststellte, dass offenbar einige Wissenschaftler meinen, mit der künstlichen Intelligenz schon eine Art Bewusstsein geschaffen zu haben. Wenn dem so sei, dann, so meinte Hélène Blackburn, werden wir uns irgendwann fragen müssen: warum haben wir die Maschinen entwickelt?

Hélène Blackburn leitet seit 35 Jahren ihre eigene Compagnie „Cas Public“ in Montreal. Mit den sieben TänzerInnen ihre Truppe könne sie aber eine solche Choreographie nicht umsetzen. Deshalb freue sie sich, ihr erstes abendfüllendes Projekt mit dem Ballett am Rhein auf die Bühne bringen zu können.

Erfreulich viele Ballettfreunde waren zur ersten Arbeitsprobe des Jahres 2023 erschienen.

Im Anschluss an die Probe und das Gespräch im Studio gab es im Foyer des Balletthauses ausreichend Gelegenheit, auf das Neue Jahr anzustoßen und mit Hélène Blackburn und der ebenfalls anwesenden Komponistin der Musik, Ana Sokolović, sowie dem Lichtdesigner Emmanuel Landry zu diskutieren.

Text: Egon Schawe, Axel Weiss; Fotos: Renate Weber-Zangrandi, Erich Kutzera