Portrait Peter I. Tschaikowsky

Rendezvous mit Tom Smith

Wussten Sie, dass Tschaikowsky’s zweites Ballett, Dornröschen, zu seinen bedeutendsten Werken zählt?
Wussten Sie auch, dass der Zar die Musik für Dornröschen lediglich als „sehr nett“ bezeichnete, was den sensiblen Tschaikowsky sehr enttäuschte?
Und wussten Sie, dass einige Kritiker damals sogar die Musik als langweilig und unverständlich beschrieben?
Das alles und noch viel mehr erfuhr man im Gespräch mit dem Komponisten Tom Smith, der extra aus München angereist war, um mit Juliane Schunke in einem Gespräch über Peter Tschaikowsky und die Herausforderungen der musikalischen Bearbeitung seiner Werke zu reden. Denn dafür wurde er eigens von Bridget Breiner engagiert, um eine musikalische Erweiterung für das Ballett Dornröschen zu kreieren.
Wenn man Dornröschen kennt, weiß man, dass dieses Ballett eigentlich nicht wenig an Musik bereithält. Die Partitur enthält 30 verschiedene, variationsreiche Stücke, ist reich an Motiven und außergewöhnlich üppig instrumentiert. Und nun eine kompositorische Erweiterung für das Ballett am Rhein? Das macht neugierig.

Zunächst einmal stellte Juliane Schunke den Komponisten, Pianisten, Arrangeur, Sänger und Organisten Tom Smith vor und fragte ihn, wie er dazu gekommen sei, Komponist klassischer Musik zu werden.
Geboren in Derby 1988 , also 100 Jahre nachdem Tschaikowsky den Auftrag bekommen hatte, Ballettmusik für das Märchen Dornröschen zu komponieren, wurde Tom Smith schon früh an die Musik herangeführt. Er lernte Klavier und sang im Kirchenchor. Für ihn stand bereits als Teenager fest, dass er Musiker werden wollte und sah sich als zukünftiger Pianist. Er studierte Musik am ehrwürdigen Christ’s College in Cambridge , wo er auch Chor-Stipendiat wurde. 2013 führte ihn das Musikstudium nach Deutschland, an die renommierte Hochschule für Musik und Theater in München, wo er auch Komposition bei Moritz Eggert studierte. Seitdem lebt er in Deutschland, wo er sich sehr wohlfühlt, denn hier „könne man noch Karriere als klassischer Musiker machen“, so Tom Smith. Er hat bereits mehrere Preise gewonnen, zwei Opern komponiert und für das UFO der Deutschen Oper am Rhein in der Spielzeit 2022/23 seine Uraufführung „So oder so oder so“ gezeigt. Er ist also auch am Rhein kein Unbekannter mehr.
Auf die Frage, wer denn sein Lieblingskomponist sei, gerät er ins Schwärmen über Leos Janáček. Dieser habe den Menschen genau zugehört, die Satzmelodien transkribiert und in seine Kompositionen einfließen lassen. Aber auch Tschaikowsky gehört zu seinen Lieblingskomponisten.
Was genau ist nun die Aufgabe von Tom Smith im Zusammenhang mit dem Ballett Dornröschen und der Interpretation von Bridget Breiner? Wie muss man sich das vorstellen?
Die Ballettfreunde erfahren, dass man im Sommer bereits zusammengekommen ist und in unendlichen Gesprächen und Diskussionen sowohl über den Entwurf eines neuen dramaturgischen Ansatzes, als auch über die Frage nachgedacht hat, was man mit der ganzen Musik von Tschaikowsky macht. Denn immerhin ist Dornröschen das längste Ballett, es dauert ungefähr drei Stunden. Was wählt man von der Musik? Nimmt man alles? Lässt man etwas aus? Ändert man die Reihenfolge? Wie arrangiert man das Ganze? Es wurde dann gemeinsam mit Bridget Breiner Ende Juni die Reihenfolge festgelegt und entschieden, Kadenzen zu schreiben, um die Übergänge fließender zu machen, aber immer im Stile Tschaikowskys. Bislang sind - sozusagen im Gespräch mit Tschaikowsky wie Tom Smith betont - neun Kadenzen und insgesamt acht Minuten neue Musik hinzugekommen. Dass sich noch etwas ändern könne, ist für Tom Smith ganz normal. Auch Tschaikowsky habe noch ändern müssen. Aber anders als Marius Petipa, der Tschaikowsky ganz genaue Vorgaben machte, was er wie haben wollte, kann Tom Smith seine musikalischen Entscheidungen selbst treffen. Denn Bridget Breiner und er kennen sich bereits und haben in Karlsruhe zu Beginn der Corona-Epidemie schon einmal zusammengearbeitet. Damals ging es darum, das Arrangement für den Feuervogel in kleinerer Orchestrierung neu zu denken und umzusetzen.
Als Vorbereitung für Dornröschen ist er im Mai bereits nach Düsseldorf gekommen und hat anhand des Balletts „Russ“ Bridgets Art zu choreographieren studiert. Er ist begeistert, wie sie mit Tempo umgeht, wie sie Fermaten und Verzögerungen einbaut, wie flexibel sie mit ihrer Tanzsprache auf Musik reagiert.
Da er auch als Ballettpianist an der Tanz-Akademie in München arbeitet, ist für ihn die Ballettarbeit inzwischen sehr viel spezifischer geworden. Denn grundsätzlich unterscheidet sich für einen Komponisten die Arbeit an einem Ballett deutlich von einem Auftrag für Oper und Gesang. Die Interpretation der Musik wird im Tanz zum eigenen Kunstwerk, dem man Raum geben muss, so Tom Smith. Es entsteht sozusagen eine doppelte Partitur, eine musikalische und eine tänzerische, die sich überlappen. Der Tanz und der Körper müssen bei der Komposition immer mitgedacht werden.
Was er von Tschaikowsky in diesem Zusammenhang gelernt hat? Wie man für großes Orchester komponiert. Tschaikowsky habe sein ganzes Können und Emotionen in diese Musik gelegt, er habe mit Erfolg alle Vorgaben von Petipa zusammen in eine Komposition umgesetzt und einheitliche Strukturen geschaffen. Er war sehr innovativ und Tom Smith zeigt sich verwundert, dass diese Musik von den Zeitgenossen zum Teil nicht verstanden wurde, dass man sogar den Vorwurf machte, es handele sich um neutönerische Musik und die russische Balletttradition würde in Frage gestellt. Dafür wurde Tschaikowsky aber zum großen Vorbild und prägend für Igor Strawinsky.
Am Ende wird noch einmal die Frage nach der dramaturgischen Ausrichtung gestellt. Hier möchte Tom Smith nicht allzu viel verraten, nur dass sich Bridget Breiner in ihrer Erzählung auf das Märchen der Gebrüder Grimm bezieht, wo auch andere Personen vorkommen. So sind die Feen z.B. 12 weise Frauen , die bei Bridget Breiner im 2. Akt zusammen tanzen. Tom Smith hat für diese weisen Frauen ein Stück komponiert, in dem auch drei andere Märchen der Gebrüder Grimm eine Rolle spielen werden.

Zufällig hatte er diese neue Komposition im Zug zwischen Frankfurt und Düsseldorf in eine Klavierfassung übertragen und mitgebracht.
Und so wurden die Ballettfreunde Zeugen einer Welturaufführung, als er zum Abschluss des Abends diese Komposition am Flügel vortrug.
Es gab viel Beifall und einen großen Dank der Ballettfreunde an Tom Smith und Juliane Schunke für diesen wieder ganz besonderen Abend im Balletthaus.

Text: Renate Raeune, Fotos: Renate Weber-Zangrandi